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Die Pest in Oberammergau - Von der Seuche zum Passionsspiel

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Es ist die Nacht vor dem Kirchweihfest 1633. In der Dunkelheit schleicht sich der Oberammergauer Kaspar Schisler von Eschenlohe aus in sein Heimatdorf. Bringt er damit die Pest in den Ort? - Das Unglück vor nahezu 400 Jahren hat die weltberühmten Passionsspiele hinterlassen und eine Menge fromme und skurrile Geschichten. Von Markus Mähner

Credits
Autor dieser Folge: Markus Mähner
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Franziska Ball, Benedikt Schregle, Frank Manhold
Technik: Adele Meßmer, Lorenz Kersten
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Viola Schenz, Journalistin und Autorin des Buches "Ein Dorf begeistert die Welt: Die Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele"
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Die Pest im Mittelalter - Europas demographische Katastrophe. Von Ulrike Rückert / Artikel Dorit Kreissl (2010 / 2015)
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Es ist der 11. September 1880. Ein Pferdefuhrwerk quält sich den steilen Ettaler Sattel aus dem Loisachtal kommend empor. Auf seinem Bock: Der lutherische Theologe Alexander von Oettingen von der Universität Dorpat im deutschsprachigen Estland. Neben ihm: Der äußerst gesprächige Murnauer Kutscher, der weiß auf was es bei der Oberammergauer Passion ankommt:

ZITATOR 1

Die Hauptsache bei die Gschicht sei, daß viele Wagen voll Bierfässern dort versoffen würden. Ja, die verstehn´s dort halt.

SPRECHERIN

So Alexander von Oettingen in seinen "Erinnerungen eines Pilgers nach Oberammergau" von 1880. Und tatsächlich:

M ARD-LAbelmusik Tradition (Länge: 1´15´´) unter:

Die Reise zu den inzwischen weltberühmten Oberammergauer Passionsspielen ähnelt eher einer Pilgerreise als eines Kulturausflugs. Denn links und rechts ist die Straße gesäumt von schier zahllosen Fußgängern, die sich keine Kutsche leisten können. Alle wollen sie nach Oberammergau, dem verschlafenen bayerischen Dorf, wie es in Disneyland nicht schöner stehen könnte: Umrahmt von kecken Berggipfeln und sprudelnden Ammerquellen, präsentiert es sich mit Lüftlmalereien und Herrgottsschnitzern an jeder Ecke, "abgeschieden und weltoffen", vor allem dank seiner Passionsspiele, von denen der offizielle Passionsführer von 1880 schreibt:

ZITATOR 3 (od 2)

Am Mississippi wie an der Spree, an der Donau wie an der Themse, an der Seine wie am Rhein lautet das Losungswort: Nach Oberammergau! Tausende eilen auf Bahnen und Dampfern nach dem sonst so stillen Gebirgsdorfe und scheuen selbst die Beschwerden und Mühseligkeiten und Gefahren einer mehrwöchigen Seereise nicht, um dem alten Mysterium beizuwohnen.

SPRECHERIN

Doch woher stammt es, das "alte Mysterium"? Der Gründungsmythos der Oberammergauer Passionsspiele ist so bewegt, wie seine nun bald 400jährige Geschichte.

M Dakryon (Länge: 1´00´´)

SPRECHERIN

Es ist das Jahr 1633. In Bayern sieht es düster aus: Vor einem Jahr überquerte der Schwedenkönig Gustav Adolf mit seinen Truppen den Lech und brachte damit den Dreissigjährigen Krieg auch nach Bayern. Das tägliche Leben ist geprägt von Missernten und Hungersnöten, von Inflation und Hexenverfolgung. Galileo Galilei schwört in diesem Jahr in Rom vor der Heiligen Inquisition von seinem besseren Wissen ab. Das Klostergericht Ettal, zu dem Oberammergau gehört, lässt keine Hexenverbrennungen zu. Aber es fallen immer wieder "feindliche Räuber" - wie es in der Dorfchronik heißt - in Ettal und Oberammergau ein und zerschlagen dort den Kirchenschrein. Zu allem Übel grassiert auch noch der Schwarze Tod: Die Pest - im Ammergau glücklicherweise nicht so schlimm wie im Flachland.

Musik Bitter intrigues (reduziert) (Länge: 0´53´´)

SPRECHERIN

Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, als der Oberammergauer Tagelöhner Kaspar Schisler Sehnsucht nach seiner Frau und seinen Kindern bekommt. Es ist der Abend vor Kirchweich 1633. "Der Schisler" hat sich von Eschenlohe im Loisachtal, wo er sich als Knecht verdingt, auf den Weg über einen Bergsattel ins heimatliche Oberammergau gemacht. Überall sieht er Pestwachen. Niemand darf ins Dorf, denn bis jetzt verlief die Pest hier harmlos. Schisler aber stiehlt sich in der Nacht an den Wachen vorbei und bringt das Unglück mit: Innerhalb kurzer Zeit sterben...

ZITATOR 2

...binnen eines Jahres dahier 84 Personen, darunter zwei Pfarrer bald nacheinander. In dem großen Leidwesen traten die Vorgesetzten der Gemeinde zusammen und machten das Verlöbniß, die Passionstragödie alle zehn Jahre zu halten, und von dieser Zeit an ist kein einziger Mensch mehr gestorben, obgleich noch etliche die Pestzeichen an sich hatten.

SPRECHERIN

So die gut 200 Jahre später verfasste Dorfchronik. Ein Wunder?

Schenz 1a

Man mag jetzt an ein Wunder glauben, man mag es aber auch nicht.

SPRECHERIN

Viola Schenz, Journalistin und Autorin des Buches "Ein Dorf begeistert die Welt: Die Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele"

Schenz 1b

Wahrscheinlich ist eben einfach, dass zu dieser Zeit, als dieses Gelübde ausgerufen wurde: die die an der Pest erkrankt waren, einfach schon gestorben waren und die diese überlebt hatten, eben resistent waren, sodass eben weil auch niemand mehr in den Ort gelassen wurde, sodass es einfach keine weiteren Pestfälle mehr gab. Das hat einfach eine rein medizinische, virologische Erklärung.

SPRECHERIN

Doch war es wirklich der Schisler, der die Pest brachte? Immer wieder tauchten Zweifel auf. Manche meinen, es sei eine Dienstmagd mit dem Namen Agata Lindenauer gewesen, die die Pest mit aus dem benachbarten Kohlgrub brachte. Natürlich können es auch Schwedische Soldaten gewesen sein, wie in vielen anderen Gebieten Bayerns. Fakt ist: der Name Schisler ist im Oberammergauer Pfarrmatrikel aus diesen Jahren nicht unter den Verstorbenen verzeichnet.

Schenz 2

Aber es wurde eben diesem Schisler zugeschrieben. Und dass er eben nicht mehr in diesen Todeslisten verzeichnet ist, das kann ein Zufall sein oder ein Versehen oder auch ein bewusster Akt. Das weiß man heute nicht mehr. Aber klar ist: jemand hat die Pest gebracht. Es gab viele Tote, der Rest des Ortes war dann resistent. Die, die erkrankt waren und gestorben waren, waren eben eh tot und insofern fiel eben das Gelübde und des Ende dieses Pestbefalls sehr günstig zusammen.

M Achlys (Länge: 0´25´´) unter:

SPRECHERIN

Bereits ein Jahr später, 1634, findet das erste Oberammergauer Passionsspiel statt. Auf dem Friedhof, wie in vielen anderen Orten Bayerns auch.

SPRECHERIN

Zurück ins Jahr 1880, knappe 250 Jahre nach dem Gelübde, zu Alexander von Oettingen:

ZITATOR 1

Gottlob, das alte Gelübde bringt es mit sich, daß nur alle zehn Jahre gespielt werden soll. Sonst würde die Sache, wie sie schon heuer es zu werden drohte, zu einem lukrativem Geldunternehmen im neuesten Stil. Es war eben Mode geworden, jene "Pilgerfahrt" zu machen. Eine viertel Million Mark soll die Einnahme dieses Jahres betragen haben.

SPRECHERIN

Die ganze Welt drängt nach Oberammergau. Die Passion ist ihrem Dorfspiel auf dem Friedhof entwachsen. Und, wie so oft, bringt der Erfolg auch viele Trittbrettfahrer mit sich, wie Alexander von Oettingen 1880 aus München zu berichten weiß:

ZITATOR 1

Auf meine Erkundigung in den "Vier Jahreszeiten", wo man, wie es hieß, in solider Weise die Vermittlung der Fahrangelegenheit, der Einlaßkarten und der Wohnung übernähme, war der Preis, auch wenn man auf die ersten Plätze verzichtete, 70 bis 80 Mark à Person! Nein, das konnte und wollte ich nicht.

SPRECHERIN

Die Organisation überlässt der Theologe dann einem Alois Mössl, der im Bierkeller zum Pschorr seine Kundschaft mit einem Preis von 25 Mark ködert - inklusive Fahrt und Eintrittskarte für den zweiten Platz. Zuerst schaut er sich aber noch das gerade erschienene Volkschauspiel "Die Herrgottsschnitzer von Oberammergau" an. 10 Jahre später, 1890, wird der Stoff als Roman von Ludwig Ganghofer dem Ort für immer sein Bild aufdrücken. 1952 bringt ihn Winnetou-Regisseur Harald Reinl ins Kino.

M ARD-LAbelmusik Tradition (Länge: 0´44´´) unter:

SPRECHERIN

Am Morgen des 11.September 1880 verlässt der Zug München Richtung Murnau - die Bahnstrecke ist vor einem Jahr erst eingeweiht worden. Es ist neblig, wie so oft hier im Herbst. Erst am Starnberger See, an dem Halt für eine Dampferrundfahrt gemacht wird, klart es auf und ein prächtiges Alpenpanorama empfängt den "Passions-Pilger".

Oberammergau hat zu dieser Zeit 1200 Einwohner. Und man kann sagen: Das ganze Dorf ist mit den Spielen beschäftigt, denn schließlich dürfen nur Einheimische mitspielen.

Genauso wie heute. Viola Schenz:

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 1´18´´)

Schenz 3

Gut die Hälfte des Dorfes steht irgendwann über die Woche verteilt auf der Bühne, und der Rest ist sowieso auch irgendwie dabei: Wir haben die Feuerwehr, wir haben den Notarzt. Wir haben natürlich - ganz wichtig - den Chor und das Orchester. Die sind natürlich auch groß besetzt. Über hundert Mitglieder. Und wir haben die ganzen Garderobieren, wir haben die Einlasser. Und dann gibt es das ganze Drumherum noch. Also es ist eigentlich, es gibt kaum jemanden in Oberammergau, der nicht oder die nicht berührt wäre von diesen Spielen. Alle sind in irgendeiner Form involviert.

SPRECHERIN

Aber auch Auswärtige verdienen am Spiel. Sei es die Bahn, die Kutscher oder die Schifffahrtsgesellschaften, die die Besucher aus Übersee bringen. Ja, 1880 hat sogar der englische Geistliche Thomas Cook als erster Reiseveranstalter der Welt ein Büro in Oberammergau eröffnet. Die Aufführung dauert 8 Stunden. Bänke gibt es lediglich ohne Lehnen. Und wie heute sind es bereits 5000 Zuschauer pro Aufführung. Das macht bei 23 Aufführungen vom 17. Mai bis zum 26.September gut über 100.000 Zuschauer. Und das bei einer Einwohnerzahl von gerade mal 1200!

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´52´´)

SPRECHERIN

Gut einhundert Jahr zuvor sah es allerdings weniger rosig für das Passionsspiel aus: Die aufklärerischen Tendenzen in der bayerischen Regierung mochten dem "religiösen Jahrmarkt" einen Riegel vorschieben und verboten 1770 die Passion. Szenen, wie jene aus der Oberammergauer Barockpassion, in der kleine Teufelchen dem toten Judas die Gedärme in Form von Straubengebäck aus dem Magen reißen und sie genüsslich verspeisen, kamen nicht gut an in München. Man solle...

ZITATOR 4 (od. 2)

"...doch heimgehen und sich das Leiden Christi von ihrem Pfarrer predigen lassen. Das sei besser, als wenn sie den Herrgott auf ihrem Theater herumschleppen."

SPRECHERIN

Doch nach einer Überarbeitung von Text und Inszenierung bekam Oberammergau als einziger Ort für seine Passionsspiele eine Sondererlaubnis. Damit verblieb man der letzte Spielort einer Passion in Bayern!

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´24´´)

SPRECHERIN

Und so gingen die Oberammergauer Passionsspiele in ihre nächste Phase: Die des internationalen Ruhms und - ja man kann es nicht anders sagen - die des Massentourismus: 1830 untersagt zwar der Dorfpfarrer Alois Putz das Spielen auf dem Friedhof, doch da...

Schenz 4

…hat man dann das vom Friedhof verlegt, auf einen eigenen Platz im Nordteil des Ortes. Da war eine große freie Wiese. Die hat damals übrigens noch dem Ettaler Kloster gehört, also die hat man den Ettalern quasi abgekauft und hat dann dort erst Vorläuferbauten und dann das endgültige Passionstheater errichtet.

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´42´´)

SPRECHERIN

Ein Vorteil davon: Nun hat man deutlich mehr Platz für die Heerscharen, die alle zehn Jahre nach Oberammergau strömen. Bereits 1840 reisen selbst der Kronprinz Maximilian von Bayern, und der König und die Königin von Sachsen in das malerische Gebirgsdorf. Für Oktober hat sich sogar Ludwig der Erste angekündigt, doch früh einsetzender Schnee lässt die Reise nicht mehr zu. Für die Passion zehn Jahre später wird eine eigene Pferde-Bus-Direktlinie von München nach Oberammergau eingerichtet.

Auch die Passion 1870 scheint wieder alles Vorangegangene zu übertreffen, da kommt just während der achten Vorstellung am 17. Juli die Nachricht: Frankreich hat Preußen den Krieg erklärt!

SPRECHERIN

Dafür kommen bei den nachgeholten Aufführungen im Jahr 1871 umso mehr Zuschauer, besonders auch aus England und den USA. Das Deutsche Kaiserreich und somit ein vereinigtes Deutschland hat sich nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich am Anfang des Jahres gegründet und präsentiert sich nun auch im Bergdorf Oberammergau stolz der Welt.

Doch der unablässig zunehmende Tourismus bringt auch absurde Nebenwirkungen mit sich.

Schenz 5

Es gab also etliche Vorfälle, dass das Publikum einfach zwischen Darsteller und seiner Rolle nicht mehr unterscheiden konnte. Und das tatsächlich dann in der großen Pause oder auch am nächsten Tag - das Publikum war ja dann oft mehrere Tage im Ort -, dass dann eben der Judas-Darsteller, wenn er blöderweise auf der falschen Straßenseite ging, niedergeschimpft wurde von irgendeinem Passionsspielbesucher und ausgeschimpft wurde, weil er doch hier Jesus verraten habe.

SPRECHERIN

Selbst Ludwig II., der 1871 einer Privataufführung beiwohnt, geht es da nicht anders.

Schenz 6

Unser Märchenkönig, der ließ es sich nicht nehmen, die Hauptdarsteller alle mal zu einem großen Diner einzuladen. Und zum Ende dieses Dinners hat er allen einen silbernen Löffel als Andenken in die Hand gedrückt. Nur der Judas-Darsteller bekam einen Löffel aus Blech einfach als Missbilligung seiner Rolle und für das, was er Jesus angetan habe.

SPRECHERIN

Dennoch schenkt er der ganzen Gemeinde auch noch das damals größte Steindenkmal der Welt, eine Kreuzigungsgruppe, die auf einem Hügel oberhalb von Oberammergau errichtet wird. Gleichzeitig beginnt er auch mit dem Bau von Linderhof.

M ARD-LAbelmusik Tradition (Länge: 1´15´´) unter:

Doch nicht nur der König, auch eine breite Bevölkerungsschicht entdeckt zunehmend die Faszination für die Alpen und den dazugehörigen Charme des einfachen, ländlichen Lebens - als Gegenentwurf zur sich industrialisierenden Großstadt.

GERÄUSCH Vogelgezwitscher

SPRECHERIN

Auch Alexander von Oettingen, der inzwischen in Oberammergau angekommen ist und sein Quartier bezieht, lernt ihn kennen, den "Charme des einfachen Lebens":

ZITATOR 1

Mir war gesagt worden, die Interieurs dieser Häuschen seien in ihrer "Armseligkeit voll poetischen Reizes". Mir fehlte offenbar der Sinn dafür. Zur Poesie gehört auch Luft und Licht. Diese höchst ursprünglichen Dorflagerstätten kosteten, obwohl für vier Menschen nur zwei Handtücher disponibel waren, á Person 4 Mark für EINE Nacht! Das "Geschäft" spielt jedenfalls auch bei der gastlichen Nachtunterkunft eine große Rolle.

(((SPRECHERIN

Auch im Wirtshaus nebenan kommt wenig Entspannung auf: Es ist so voll, dass es kaum etwas zu Essen gibt.

ZITATOR 1

Glücklich wer ein Glas Bier erobert. Die Mehrzahl durstet und sehnt sich vergeblich darnach. Eine Flasche Wein läßt sich schon eher erreichen. Die lohnt eben mehr! )))

SPRECHERIN

Der auch heute immer wiederkehrende Vorwurf, die Passionsspiele würden schon lange nicht mehr des Gelübdes wegen aufgeführt, sondern einzig, um Geld in die Dorfkasse zu spielen, ist also schon gut 150 Jahre alt.

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´46´´)

Dafür bekommt allerdings der Zuschauer auch Einiges geboten. Die Massenszenen und die "Lebenden Bilder" - die recht originalgetreue Nachstellung klassischer Gemälde, die Szenen aus der Bibel zum Thema haben - sind einzigartig. Da befinden sich gut und gern mal mehrere hundert Menschen auf der Bühne – die alle Oberammergauer sind! Und das geht von Babys bis zu 100jährigen. 2020 hat ein Bauer sogar seine Hühner für die Händlerszene im Tempel angemeldet - alles echte Oberammergauer!

Die übrigens ab Aschermittwoch ein Jahr vor der Aufführung dem sogenannten Haar- und Bart-Erlass unterliegen.

Schenz 7

Das heißt, ab diesem Tag dürfen die Darsteller, also Männer und Frauen, ihre Haare nicht mehr schneiden und die Männer auch nicht mehr die Bärte.

SPRECHERIN

Einer, der das ganz ernst genommen hat und sich mit seiner Rolle komplett identifizierte, war Anton Lang.

Schenz 8

Und dieser berühmte Anton Lang, dieser Darsteller von 1900 und 1910 und 1922, also der große Christus-Darsteller, der dann eben auch zwischen diesen Dekaden-Aufführungen, seine Haare lang wachsen ließ. Also der dann wirklich so als ewiger Christus durch den Ort ging. Zu dem gingen dann die Leute während der Passion tatsächlich hin und baten ihn, ihre Kinder zu segnen. Und als dann sein jüngstes Kind, der Gottfried, 1918 auf die Welt kam, da geht die Legende, dass die Haushälterin der Familie Lang durch Oberammergau rannte und meinte: ein Christuskind ist geboren. Also unglaubliche Szenen!

SPRECHERIN

Auch die strengen Vorschriften für Mitspieler bringen immer wieder absurde Szenen hervor. So gibt es lange Zeit für Frauen eine Altersbeschränkung, ab der sie nicht mehr mitspielen dürfen. Was 1922 zu einem komischen Bild auf der Bühne führt, als Anton Lang zum letzten Mal den Jesus verkörpert.

Schenz 9

Also, wir hatten dann da einen 47-jährigen Jesus am Kreuz hängen und seine Mutter Maria war halt dann irgendwie eine Anfang-20-Jährige. Also grotesker geht's nicht. Aber so war es eben.

Diese Regelung aber trieb dann wirklich seltsame Blüten: in einem Fall das war für die 1950er-Passion: Da war eben eine sehr begabte Darstellerin für die Maria vorgesehen. 1948/49, also als schon die ersten Proben liefen und also die Darsteller schon festgelegt waren, hat sie mal - so wurde ihr nachgesagt - auslassend mit amerikanischen Soldaten irgendwo in einer Dorfwirtshaus getanzt. Damals war ja Oberammergau, wie viele Teile Oberbayerns, von den Amerikanern besetzt. Und es wurde ihr natürlich sofort negativ ausgelegt, und der Gemeinderat befand also, dass sie dieser Rolle der Maria nicht würdig war. Und ihr wurde stattdessen die Rolle der Maria Magdalena, also der Sünderin, nahegelegt. Weil das doch ihrem Verhalten viel mehr entspreche.

M Dakryon (Länge: 0´47´´)

SPRECHERIN

Generell stehen die Spiele 1950 unter einem schlechten Stern. Denn es fehlt schlicht an Mitspielern. Viele junge Oberammergauer sind vom Krieg nicht heimgekehrt, die Verbliebenen sind oft zu alt. Und die zahlreichen Flüchtlinge, die im Dorf leben - es sind 2.200 Flüchtlinge auf 3.000 Einwohner - dürfen nicht mitspielen.

Zudem muss sich das Passionsspiel mit seinen antisemitischen Tendenzen auseinandersetzen. Die Nationalsozialisten hatten 1934 die "Jubiläumsspiele" - 300 Jahren Oberammergauer Passion - für ihre Zwecke vereinnahmt. Und nun kommen verstärkt Kritiken am veralteten Passionstext auf.

Schenz 10

Nicht unbedingt aus dem Ort selber oder aus der Gemeinde, wie man es vielleicht sich denken würde, sondern tatsächlich aus Amerika von prominenten amerikanischen Juden, allen voran Arthur Miller und Leonard Bernstein, die tatsächlich dann auch zu zum Boykott der Spiele aufgerufen haben - was tatsächlich zur Folge hatte, dass bei den 1970er Spielen ganze Blöcke leer blieben im Passionstheater. Aber der eigentliche Donnerschlag war das Zweite Vatikanische Konzil, das sich ewig hinzog, von 1962 bis 1965 in Rom, wo eben sehr viele Reformen beschlossen wurden und unter anderem eben auch ein Aufruf speziell nach Oberammergau ging, das Verhältnis zwischen christlichen und nichtchristlichen Konfessionen zu überdenken und die Spiele zu reformieren. Und was machten die Oberammergauer: Sie machten nichts! Sie scherten sich überhaupt nicht darum! Was dazu führte, dass ihnen quasi der Vatikan die Lizenz entzog für die Spiele.

SPRECHERIN

Daraufhin fällt das Passionsspiel in eine große Krise, die den ganzen Ort in zwei Lager spaltet: Die Traditionalisten und die, die sowohl Text als auch von der Zeit überholte Regeln und Strukturen aufbrechen wollen. Das dauert allerdings bis 1990, als der noch nicht einmal 30-Jährige Oberammergauer Christian Stückl die Leitung der Spiele übernimmt.

Stückl

Das Dorf war reif für Reformen und deswegen sind die meisten dann mitgegangen. Ich hab dann die erste verheiratete Frau zur Maria gemacht. Ich hab versucht das Katholische aufzureißen und hab gesagt: Wir müssen auch die Protestanten mit einbeziehen. Wir müssen gemeinsam Gottesdienst feiern, wir müssen ein anderes Verhältnis zum Judentum haben. Also vielleicht hab ich an bestimmten Stellen auch einfach nen riesen Dickschädel und sag: Ich mach´s nur so. Anders mach ich´s nicht!

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´56´´)

SPRECHERIN

Was den Passionsspielen allerdings keineswegs geschadet hat. 2014 werden sie in die UNESCO-Liste für Immaterielles Kulturerbe aufgenommen. Die Spiele 2022 - sie wurden wie genau 100 Jahre zuvor wegen einer Pandemie um zwei Jahre verschoben - werden die finanziell erfolgreichste Passion in der Geschichte. Knapp 50 Millionen Euro Umsatz bei 412.000 Zuschauern!

Das Losungswort von 1880 gilt also immer noch, am Mississippi wie an der Spree, an der Seine wie am Rhein: Auf nach Ammergau!


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Es ist die Nacht vor dem Kirchweihfest 1633. In der Dunkelheit schleicht sich der Oberammergauer Kaspar Schisler von Eschenlohe aus in sein Heimatdorf. Bringt er damit die Pest in den Ort? - Das Unglück vor nahezu 400 Jahren hat die weltberühmten Passionsspiele hinterlassen und eine Menge fromme und skurrile Geschichten. Von Markus Mähner

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Autor dieser Folge: Markus Mähner
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Franziska Ball, Benedikt Schregle, Frank Manhold
Technik: Adele Meßmer, Lorenz Kersten
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Es ist der 11. September 1880. Ein Pferdefuhrwerk quält sich den steilen Ettaler Sattel aus dem Loisachtal kommend empor. Auf seinem Bock: Der lutherische Theologe Alexander von Oettingen von der Universität Dorpat im deutschsprachigen Estland. Neben ihm: Der äußerst gesprächige Murnauer Kutscher, der weiß auf was es bei der Oberammergauer Passion ankommt:

ZITATOR 1

Die Hauptsache bei die Gschicht sei, daß viele Wagen voll Bierfässern dort versoffen würden. Ja, die verstehn´s dort halt.

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So Alexander von Oettingen in seinen "Erinnerungen eines Pilgers nach Oberammergau" von 1880. Und tatsächlich:

M ARD-LAbelmusik Tradition (Länge: 1´15´´) unter:

Die Reise zu den inzwischen weltberühmten Oberammergauer Passionsspielen ähnelt eher einer Pilgerreise als eines Kulturausflugs. Denn links und rechts ist die Straße gesäumt von schier zahllosen Fußgängern, die sich keine Kutsche leisten können. Alle wollen sie nach Oberammergau, dem verschlafenen bayerischen Dorf, wie es in Disneyland nicht schöner stehen könnte: Umrahmt von kecken Berggipfeln und sprudelnden Ammerquellen, präsentiert es sich mit Lüftlmalereien und Herrgottsschnitzern an jeder Ecke, "abgeschieden und weltoffen", vor allem dank seiner Passionsspiele, von denen der offizielle Passionsführer von 1880 schreibt:

ZITATOR 3 (od 2)

Am Mississippi wie an der Spree, an der Donau wie an der Themse, an der Seine wie am Rhein lautet das Losungswort: Nach Oberammergau! Tausende eilen auf Bahnen und Dampfern nach dem sonst so stillen Gebirgsdorfe und scheuen selbst die Beschwerden und Mühseligkeiten und Gefahren einer mehrwöchigen Seereise nicht, um dem alten Mysterium beizuwohnen.

SPRECHERIN

Doch woher stammt es, das "alte Mysterium"? Der Gründungsmythos der Oberammergauer Passionsspiele ist so bewegt, wie seine nun bald 400jährige Geschichte.

M Dakryon (Länge: 1´00´´)

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Es ist das Jahr 1633. In Bayern sieht es düster aus: Vor einem Jahr überquerte der Schwedenkönig Gustav Adolf mit seinen Truppen den Lech und brachte damit den Dreissigjährigen Krieg auch nach Bayern. Das tägliche Leben ist geprägt von Missernten und Hungersnöten, von Inflation und Hexenverfolgung. Galileo Galilei schwört in diesem Jahr in Rom vor der Heiligen Inquisition von seinem besseren Wissen ab. Das Klostergericht Ettal, zu dem Oberammergau gehört, lässt keine Hexenverbrennungen zu. Aber es fallen immer wieder "feindliche Räuber" - wie es in der Dorfchronik heißt - in Ettal und Oberammergau ein und zerschlagen dort den Kirchenschrein. Zu allem Übel grassiert auch noch der Schwarze Tod: Die Pest - im Ammergau glücklicherweise nicht so schlimm wie im Flachland.

Musik Bitter intrigues (reduziert) (Länge: 0´53´´)

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Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, als der Oberammergauer Tagelöhner Kaspar Schisler Sehnsucht nach seiner Frau und seinen Kindern bekommt. Es ist der Abend vor Kirchweich 1633. "Der Schisler" hat sich von Eschenlohe im Loisachtal, wo er sich als Knecht verdingt, auf den Weg über einen Bergsattel ins heimatliche Oberammergau gemacht. Überall sieht er Pestwachen. Niemand darf ins Dorf, denn bis jetzt verlief die Pest hier harmlos. Schisler aber stiehlt sich in der Nacht an den Wachen vorbei und bringt das Unglück mit: Innerhalb kurzer Zeit sterben...

ZITATOR 2

...binnen eines Jahres dahier 84 Personen, darunter zwei Pfarrer bald nacheinander. In dem großen Leidwesen traten die Vorgesetzten der Gemeinde zusammen und machten das Verlöbniß, die Passionstragödie alle zehn Jahre zu halten, und von dieser Zeit an ist kein einziger Mensch mehr gestorben, obgleich noch etliche die Pestzeichen an sich hatten.

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So die gut 200 Jahre später verfasste Dorfchronik. Ein Wunder?

Schenz 1a

Man mag jetzt an ein Wunder glauben, man mag es aber auch nicht.

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Viola Schenz, Journalistin und Autorin des Buches "Ein Dorf begeistert die Welt: Die Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele"

Schenz 1b

Wahrscheinlich ist eben einfach, dass zu dieser Zeit, als dieses Gelübde ausgerufen wurde: die die an der Pest erkrankt waren, einfach schon gestorben waren und die diese überlebt hatten, eben resistent waren, sodass eben weil auch niemand mehr in den Ort gelassen wurde, sodass es einfach keine weiteren Pestfälle mehr gab. Das hat einfach eine rein medizinische, virologische Erklärung.

SPRECHERIN

Doch war es wirklich der Schisler, der die Pest brachte? Immer wieder tauchten Zweifel auf. Manche meinen, es sei eine Dienstmagd mit dem Namen Agata Lindenauer gewesen, die die Pest mit aus dem benachbarten Kohlgrub brachte. Natürlich können es auch Schwedische Soldaten gewesen sein, wie in vielen anderen Gebieten Bayerns. Fakt ist: der Name Schisler ist im Oberammergauer Pfarrmatrikel aus diesen Jahren nicht unter den Verstorbenen verzeichnet.

Schenz 2

Aber es wurde eben diesem Schisler zugeschrieben. Und dass er eben nicht mehr in diesen Todeslisten verzeichnet ist, das kann ein Zufall sein oder ein Versehen oder auch ein bewusster Akt. Das weiß man heute nicht mehr. Aber klar ist: jemand hat die Pest gebracht. Es gab viele Tote, der Rest des Ortes war dann resistent. Die, die erkrankt waren und gestorben waren, waren eben eh tot und insofern fiel eben das Gelübde und des Ende dieses Pestbefalls sehr günstig zusammen.

M Achlys (Länge: 0´25´´) unter:

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Bereits ein Jahr später, 1634, findet das erste Oberammergauer Passionsspiel statt. Auf dem Friedhof, wie in vielen anderen Orten Bayerns auch.

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Zurück ins Jahr 1880, knappe 250 Jahre nach dem Gelübde, zu Alexander von Oettingen:

ZITATOR 1

Gottlob, das alte Gelübde bringt es mit sich, daß nur alle zehn Jahre gespielt werden soll. Sonst würde die Sache, wie sie schon heuer es zu werden drohte, zu einem lukrativem Geldunternehmen im neuesten Stil. Es war eben Mode geworden, jene "Pilgerfahrt" zu machen. Eine viertel Million Mark soll die Einnahme dieses Jahres betragen haben.

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Die ganze Welt drängt nach Oberammergau. Die Passion ist ihrem Dorfspiel auf dem Friedhof entwachsen. Und, wie so oft, bringt der Erfolg auch viele Trittbrettfahrer mit sich, wie Alexander von Oettingen 1880 aus München zu berichten weiß:

ZITATOR 1

Auf meine Erkundigung in den "Vier Jahreszeiten", wo man, wie es hieß, in solider Weise die Vermittlung der Fahrangelegenheit, der Einlaßkarten und der Wohnung übernähme, war der Preis, auch wenn man auf die ersten Plätze verzichtete, 70 bis 80 Mark à Person! Nein, das konnte und wollte ich nicht.

SPRECHERIN

Die Organisation überlässt der Theologe dann einem Alois Mössl, der im Bierkeller zum Pschorr seine Kundschaft mit einem Preis von 25 Mark ködert - inklusive Fahrt und Eintrittskarte für den zweiten Platz. Zuerst schaut er sich aber noch das gerade erschienene Volkschauspiel "Die Herrgottsschnitzer von Oberammergau" an. 10 Jahre später, 1890, wird der Stoff als Roman von Ludwig Ganghofer dem Ort für immer sein Bild aufdrücken. 1952 bringt ihn Winnetou-Regisseur Harald Reinl ins Kino.

M ARD-LAbelmusik Tradition (Länge: 0´44´´) unter:

SPRECHERIN

Am Morgen des 11.September 1880 verlässt der Zug München Richtung Murnau - die Bahnstrecke ist vor einem Jahr erst eingeweiht worden. Es ist neblig, wie so oft hier im Herbst. Erst am Starnberger See, an dem Halt für eine Dampferrundfahrt gemacht wird, klart es auf und ein prächtiges Alpenpanorama empfängt den "Passions-Pilger".

Oberammergau hat zu dieser Zeit 1200 Einwohner. Und man kann sagen: Das ganze Dorf ist mit den Spielen beschäftigt, denn schließlich dürfen nur Einheimische mitspielen.

Genauso wie heute. Viola Schenz:

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 1´18´´)

Schenz 3

Gut die Hälfte des Dorfes steht irgendwann über die Woche verteilt auf der Bühne, und der Rest ist sowieso auch irgendwie dabei: Wir haben die Feuerwehr, wir haben den Notarzt. Wir haben natürlich - ganz wichtig - den Chor und das Orchester. Die sind natürlich auch groß besetzt. Über hundert Mitglieder. Und wir haben die ganzen Garderobieren, wir haben die Einlasser. Und dann gibt es das ganze Drumherum noch. Also es ist eigentlich, es gibt kaum jemanden in Oberammergau, der nicht oder die nicht berührt wäre von diesen Spielen. Alle sind in irgendeiner Form involviert.

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Aber auch Auswärtige verdienen am Spiel. Sei es die Bahn, die Kutscher oder die Schifffahrtsgesellschaften, die die Besucher aus Übersee bringen. Ja, 1880 hat sogar der englische Geistliche Thomas Cook als erster Reiseveranstalter der Welt ein Büro in Oberammergau eröffnet. Die Aufführung dauert 8 Stunden. Bänke gibt es lediglich ohne Lehnen. Und wie heute sind es bereits 5000 Zuschauer pro Aufführung. Das macht bei 23 Aufführungen vom 17. Mai bis zum 26.September gut über 100.000 Zuschauer. Und das bei einer Einwohnerzahl von gerade mal 1200!

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´52´´)

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Gut einhundert Jahr zuvor sah es allerdings weniger rosig für das Passionsspiel aus: Die aufklärerischen Tendenzen in der bayerischen Regierung mochten dem "religiösen Jahrmarkt" einen Riegel vorschieben und verboten 1770 die Passion. Szenen, wie jene aus der Oberammergauer Barockpassion, in der kleine Teufelchen dem toten Judas die Gedärme in Form von Straubengebäck aus dem Magen reißen und sie genüsslich verspeisen, kamen nicht gut an in München. Man solle...

ZITATOR 4 (od. 2)

"...doch heimgehen und sich das Leiden Christi von ihrem Pfarrer predigen lassen. Das sei besser, als wenn sie den Herrgott auf ihrem Theater herumschleppen."

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Doch nach einer Überarbeitung von Text und Inszenierung bekam Oberammergau als einziger Ort für seine Passionsspiele eine Sondererlaubnis. Damit verblieb man der letzte Spielort einer Passion in Bayern!

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´24´´)

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Und so gingen die Oberammergauer Passionsspiele in ihre nächste Phase: Die des internationalen Ruhms und - ja man kann es nicht anders sagen - die des Massentourismus: 1830 untersagt zwar der Dorfpfarrer Alois Putz das Spielen auf dem Friedhof, doch da...

Schenz 4

…hat man dann das vom Friedhof verlegt, auf einen eigenen Platz im Nordteil des Ortes. Da war eine große freie Wiese. Die hat damals übrigens noch dem Ettaler Kloster gehört, also die hat man den Ettalern quasi abgekauft und hat dann dort erst Vorläuferbauten und dann das endgültige Passionstheater errichtet.

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´42´´)

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Ein Vorteil davon: Nun hat man deutlich mehr Platz für die Heerscharen, die alle zehn Jahre nach Oberammergau strömen. Bereits 1840 reisen selbst der Kronprinz Maximilian von Bayern, und der König und die Königin von Sachsen in das malerische Gebirgsdorf. Für Oktober hat sich sogar Ludwig der Erste angekündigt, doch früh einsetzender Schnee lässt die Reise nicht mehr zu. Für die Passion zehn Jahre später wird eine eigene Pferde-Bus-Direktlinie von München nach Oberammergau eingerichtet.

Auch die Passion 1870 scheint wieder alles Vorangegangene zu übertreffen, da kommt just während der achten Vorstellung am 17. Juli die Nachricht: Frankreich hat Preußen den Krieg erklärt!

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Dafür kommen bei den nachgeholten Aufführungen im Jahr 1871 umso mehr Zuschauer, besonders auch aus England und den USA. Das Deutsche Kaiserreich und somit ein vereinigtes Deutschland hat sich nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich am Anfang des Jahres gegründet und präsentiert sich nun auch im Bergdorf Oberammergau stolz der Welt.

Doch der unablässig zunehmende Tourismus bringt auch absurde Nebenwirkungen mit sich.

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Es gab also etliche Vorfälle, dass das Publikum einfach zwischen Darsteller und seiner Rolle nicht mehr unterscheiden konnte. Und das tatsächlich dann in der großen Pause oder auch am nächsten Tag - das Publikum war ja dann oft mehrere Tage im Ort -, dass dann eben der Judas-Darsteller, wenn er blöderweise auf der falschen Straßenseite ging, niedergeschimpft wurde von irgendeinem Passionsspielbesucher und ausgeschimpft wurde, weil er doch hier Jesus verraten habe.

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Selbst Ludwig II., der 1871 einer Privataufführung beiwohnt, geht es da nicht anders.

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Unser Märchenkönig, der ließ es sich nicht nehmen, die Hauptdarsteller alle mal zu einem großen Diner einzuladen. Und zum Ende dieses Dinners hat er allen einen silbernen Löffel als Andenken in die Hand gedrückt. Nur der Judas-Darsteller bekam einen Löffel aus Blech einfach als Missbilligung seiner Rolle und für das, was er Jesus angetan habe.

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Dennoch schenkt er der ganzen Gemeinde auch noch das damals größte Steindenkmal der Welt, eine Kreuzigungsgruppe, die auf einem Hügel oberhalb von Oberammergau errichtet wird. Gleichzeitig beginnt er auch mit dem Bau von Linderhof.

M ARD-LAbelmusik Tradition (Länge: 1´15´´) unter:

Doch nicht nur der König, auch eine breite Bevölkerungsschicht entdeckt zunehmend die Faszination für die Alpen und den dazugehörigen Charme des einfachen, ländlichen Lebens - als Gegenentwurf zur sich industrialisierenden Großstadt.

GERÄUSCH Vogelgezwitscher

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Auch Alexander von Oettingen, der inzwischen in Oberammergau angekommen ist und sein Quartier bezieht, lernt ihn kennen, den "Charme des einfachen Lebens":

ZITATOR 1

Mir war gesagt worden, die Interieurs dieser Häuschen seien in ihrer "Armseligkeit voll poetischen Reizes". Mir fehlte offenbar der Sinn dafür. Zur Poesie gehört auch Luft und Licht. Diese höchst ursprünglichen Dorflagerstätten kosteten, obwohl für vier Menschen nur zwei Handtücher disponibel waren, á Person 4 Mark für EINE Nacht! Das "Geschäft" spielt jedenfalls auch bei der gastlichen Nachtunterkunft eine große Rolle.

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Auch im Wirtshaus nebenan kommt wenig Entspannung auf: Es ist so voll, dass es kaum etwas zu Essen gibt.

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Glücklich wer ein Glas Bier erobert. Die Mehrzahl durstet und sehnt sich vergeblich darnach. Eine Flasche Wein läßt sich schon eher erreichen. Die lohnt eben mehr! )))

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Der auch heute immer wiederkehrende Vorwurf, die Passionsspiele würden schon lange nicht mehr des Gelübdes wegen aufgeführt, sondern einzig, um Geld in die Dorfkasse zu spielen, ist also schon gut 150 Jahre alt.

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´46´´)

Dafür bekommt allerdings der Zuschauer auch Einiges geboten. Die Massenszenen und die "Lebenden Bilder" - die recht originalgetreue Nachstellung klassischer Gemälde, die Szenen aus der Bibel zum Thema haben - sind einzigartig. Da befinden sich gut und gern mal mehrere hundert Menschen auf der Bühne – die alle Oberammergauer sind! Und das geht von Babys bis zu 100jährigen. 2020 hat ein Bauer sogar seine Hühner für die Händlerszene im Tempel angemeldet - alles echte Oberammergauer!

Die übrigens ab Aschermittwoch ein Jahr vor der Aufführung dem sogenannten Haar- und Bart-Erlass unterliegen.

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Das heißt, ab diesem Tag dürfen die Darsteller, also Männer und Frauen, ihre Haare nicht mehr schneiden und die Männer auch nicht mehr die Bärte.

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Einer, der das ganz ernst genommen hat und sich mit seiner Rolle komplett identifizierte, war Anton Lang.

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Und dieser berühmte Anton Lang, dieser Darsteller von 1900 und 1910 und 1922, also der große Christus-Darsteller, der dann eben auch zwischen diesen Dekaden-Aufführungen, seine Haare lang wachsen ließ. Also der dann wirklich so als ewiger Christus durch den Ort ging. Zu dem gingen dann die Leute während der Passion tatsächlich hin und baten ihn, ihre Kinder zu segnen. Und als dann sein jüngstes Kind, der Gottfried, 1918 auf die Welt kam, da geht die Legende, dass die Haushälterin der Familie Lang durch Oberammergau rannte und meinte: ein Christuskind ist geboren. Also unglaubliche Szenen!

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Auch die strengen Vorschriften für Mitspieler bringen immer wieder absurde Szenen hervor. So gibt es lange Zeit für Frauen eine Altersbeschränkung, ab der sie nicht mehr mitspielen dürfen. Was 1922 zu einem komischen Bild auf der Bühne führt, als Anton Lang zum letzten Mal den Jesus verkörpert.

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Also, wir hatten dann da einen 47-jährigen Jesus am Kreuz hängen und seine Mutter Maria war halt dann irgendwie eine Anfang-20-Jährige. Also grotesker geht's nicht. Aber so war es eben.

Diese Regelung aber trieb dann wirklich seltsame Blüten: in einem Fall das war für die 1950er-Passion: Da war eben eine sehr begabte Darstellerin für die Maria vorgesehen. 1948/49, also als schon die ersten Proben liefen und also die Darsteller schon festgelegt waren, hat sie mal - so wurde ihr nachgesagt - auslassend mit amerikanischen Soldaten irgendwo in einer Dorfwirtshaus getanzt. Damals war ja Oberammergau, wie viele Teile Oberbayerns, von den Amerikanern besetzt. Und es wurde ihr natürlich sofort negativ ausgelegt, und der Gemeinderat befand also, dass sie dieser Rolle der Maria nicht würdig war. Und ihr wurde stattdessen die Rolle der Maria Magdalena, also der Sünderin, nahegelegt. Weil das doch ihrem Verhalten viel mehr entspreche.

M Dakryon (Länge: 0´47´´)

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Generell stehen die Spiele 1950 unter einem schlechten Stern. Denn es fehlt schlicht an Mitspielern. Viele junge Oberammergauer sind vom Krieg nicht heimgekehrt, die Verbliebenen sind oft zu alt. Und die zahlreichen Flüchtlinge, die im Dorf leben - es sind 2.200 Flüchtlinge auf 3.000 Einwohner - dürfen nicht mitspielen.

Zudem muss sich das Passionsspiel mit seinen antisemitischen Tendenzen auseinandersetzen. Die Nationalsozialisten hatten 1934 die "Jubiläumsspiele" - 300 Jahren Oberammergauer Passion - für ihre Zwecke vereinnahmt. Und nun kommen verstärkt Kritiken am veralteten Passionstext auf.

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Nicht unbedingt aus dem Ort selber oder aus der Gemeinde, wie man es vielleicht sich denken würde, sondern tatsächlich aus Amerika von prominenten amerikanischen Juden, allen voran Arthur Miller und Leonard Bernstein, die tatsächlich dann auch zu zum Boykott der Spiele aufgerufen haben - was tatsächlich zur Folge hatte, dass bei den 1970er Spielen ganze Blöcke leer blieben im Passionstheater. Aber der eigentliche Donnerschlag war das Zweite Vatikanische Konzil, das sich ewig hinzog, von 1962 bis 1965 in Rom, wo eben sehr viele Reformen beschlossen wurden und unter anderem eben auch ein Aufruf speziell nach Oberammergau ging, das Verhältnis zwischen christlichen und nichtchristlichen Konfessionen zu überdenken und die Spiele zu reformieren. Und was machten die Oberammergauer: Sie machten nichts! Sie scherten sich überhaupt nicht darum! Was dazu führte, dass ihnen quasi der Vatikan die Lizenz entzog für die Spiele.

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Daraufhin fällt das Passionsspiel in eine große Krise, die den ganzen Ort in zwei Lager spaltet: Die Traditionalisten und die, die sowohl Text als auch von der Zeit überholte Regeln und Strukturen aufbrechen wollen. Das dauert allerdings bis 1990, als der noch nicht einmal 30-Jährige Oberammergauer Christian Stückl die Leitung der Spiele übernimmt.

Stückl

Das Dorf war reif für Reformen und deswegen sind die meisten dann mitgegangen. Ich hab dann die erste verheiratete Frau zur Maria gemacht. Ich hab versucht das Katholische aufzureißen und hab gesagt: Wir müssen auch die Protestanten mit einbeziehen. Wir müssen gemeinsam Gottesdienst feiern, wir müssen ein anderes Verhältnis zum Judentum haben. Also vielleicht hab ich an bestimmten Stellen auch einfach nen riesen Dickschädel und sag: Ich mach´s nur so. Anders mach ich´s nicht!

M Passionsspiele Oberammergau (Länge: 0´56´´)

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Was den Passionsspielen allerdings keineswegs geschadet hat. 2014 werden sie in die UNESCO-Liste für Immaterielles Kulturerbe aufgenommen. Die Spiele 2022 - sie wurden wie genau 100 Jahre zuvor wegen einer Pandemie um zwei Jahre verschoben - werden die finanziell erfolgreichste Passion in der Geschichte. Knapp 50 Millionen Euro Umsatz bei 412.000 Zuschauern!

Das Losungswort von 1880 gilt also immer noch, am Mississippi wie an der Spree, an der Seine wie am Rhein: Auf nach Ammergau!


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